Fachdienst Germanistik

Sprache und Literatur in der Kritik deutschsprachiger Zeitungen

REINER KUNZE
→ In seinem jüngsten Lyrikband lindennacht (vgl. Fachdienst 1/08) übe Reiner Kunze den "Abschied von der Welt", schreibt Jörg Magenau zum 75. Geburtstag des Dichters (Tagesspiegel, 16.8.). Die erklärte Weltferne dürfe man als "Ausdruck eines skeptischen Konservativismus" verstehen, "der ihn in gehörige Distanz zu den Gesellschaften rückte, in denen er lebte". Bis 1977 lebte der Bergarbeitersohn aus dem Erzgebirge in der DDR. Der Übersetzer tschechischer Lyrik habe mit den meisten seiner eigenen Texte mit der Zensur zu kämpfen gehabt, und sein Buch Die wunderbaren Jahre, "kurze, kritische Prosastücke über die Militarisierung von Schule und Erziehung", sei dann der Auslöser für seine Ausweisung aus der DDR gewesen, "Im Westen wurden ,Die wunderbaren Jahre' 1976 zum Bestseller, obwohl dieses Buch mit seiner dezidiert politischen Stoßrichtung ehe untypisch für ihn ist. Das wiederholte sich noch einmal nach der Wende, als er unter dem Titel ,Deckname Lyrik' Auszüge aus seiner Stasi-Akte veröffentlichte". In Brief mit blauem Siegel (1973), Kunzes einzigem in der DDR erschienenen Gedichtband, fänden sich Wendungen, "die einer ganzen Generation von DDR-Bewohnern Trost und Beharrung gespendet haben", betont Steffen Heitmann (Rheinischer Merkur, 28.8.). Zwar hänge es nicht von der Person des Künstlers ab, ob etwas Kunst sei, doch sei man stets dankbar, wenn Werk und Leben zusammenzustimmen schienen. "Bei Reiner Kunze entspringt sein Werk seinem Leben, und sein Leben beglaubigt sein Werk", Die Kontinuität im Werk dieses Dichters, der sich niemals habe

politisch instrumentalisieren lassen, sei bestechend: "Reiner Kunzes Werk wird bleiben", Einen ausführlichen, das bisherige Gesamtwerk umreißenden Essay zum 75. Geburtstag Reiner Kunzes publiziert Jürgen P. Wallmann (Deutschland Archiv 4/2008). Der Dichter schreibe Gedichte, "die, bei allem Realitätsgehalt, hinausgehen über die Information und die, bei aller Subjektivität, etwas anderes sind als Meinung: Gedichte, die nicht ohne erheblichen Substanzverlust ins Begriffliche zu übersetzen wären. Diese Texte muten ganz einfach an, sind in Wahrheit aber höchst artifizielle lyrische Gebilde, zumeist reimlos und in freien Rhythmen geschrieben". lindennacht zeige Kunze "auf der Höhe seines Könnens", und sein Lebenswerk brauche den Vergleich mit der Poesie von Vorläufern wie Peter Huchel, Günter Eich oder Johannes Bobrowski nicht zu scheuen. Zum 75. Geburtstag des in Erlau bei Passau lebenden Dichters (www.reiner-kunze.com) ist in der Edition Toni Pongratz die lesenswerte Schrift Mensch im Wort. Drei Gedichte für Kinder und dreißig Antworten auf Fragen von Jürgen P. Wallmann erschienen (34 S., € 12,-). "Wallmann entlockt Kunze ehrliche Antworten zu Biografie und Werk wie zum Arbeitsprozess", hebt Stefan Rammer hervor (Passauer Neue Presse, 13.8,), Bernhard Setzwein bezeichnet die besten Gedichte Reiner Kunzes als "notwendig und elementar wie ein Laib Brot" (ebd.). "Oder anders gesagt: einfach unverzichtbar". Für sein Lebenswerk wurde Reiner Kunze, der von 1962 bis 1977 in Greiz lebte, mit dem Thüringer Verdienstorden ausgezeichnet, der höchsten Auszeichnung des Freistaats Thüringen (Frankfurter Rundschau, 23.9.).///